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> press release
(DEUTSCH)
Thomas Kratz

Text by
Dr. Daniela Stöppel, 2010
 

„Durch jede Vision eines Aktes geistert das Gespenst eines Gehäuteten.

Georges Didi-Huberman in Venus Öffnen

Dass Aspekte der Malerei wie Haut und Geschlecht nicht mehr allein ikonographisch verhandelt werden, sondern auch in direkter Engführung mit formalen Aspekten wie Farbauftrag, Farbdichte oder Farbhaut als Selbstthematisierungen sowohl der Malerei als auch des Körpers gelesen werden, schlägt sich nicht nur in einer Neubewertung von Inkarnat und allgemein Körperdarstellungen in jüngeren kunsthistorischen Publikationen nieder, sondern betrifft auch die malerische Produktion selbst.

Während noch Courbets explizite Darstellung der weiblichen Genitalien durch die Titelgebung „L'Origine du Monde“ (Ursprung der Welt) metaphorisch aufgeladen und damit trotz aller Realistik in einen nach wie vor idealisierten Bereich des Allegorischen gehievt worden war, was die Auseinandersetzung mit der Drastik der Darstellung und derem radikalen Gestus lange verstellte, führen die Vagina Paintings von Thomas Kratz diese radikalen Aspekte einer Malerei des Körpers und des Fleisches explizit vor Augen: Indem der Bildausschnitt extrem auf die Schamlippen fokussiert und das übergroße Bildformat eine direkte Involvierung des Betrachters einfordert und indem die verschiedenen Hauttöne, die in die ungrundierte, grobe Leinwand einsickern, offenporig bleiben und damit die Hautdarstellung als klar definierte Demarkationslinie zwischen Innen und Außen ausfällt, wird nicht nur die Haut als Grenze zwischen Körper und Umwelt infrage gestellt, sondern letztlich auch die Grenze zwischen Bild und Betrachter. Der geöffnete Spalt, die Falte, Schlitz und Riss sind gleichermaßen Grenzfälle repräsentativer wie immersiver Bildfunktionen. Themen, die besonders die abstrakte Malerei nach 1945, mit Durchlöcherungen, Durchstoßungen, Faltungen, Klappungen und Decollagen aufgegriffen hat.

Die Thematisierung des Körpers und des Bildes als Grenze und zugleich Öffnung zeigt sich in variierter Form weiter in den dreidimensionalen Figuren, aus derem Inneren Wasser an die Oberfläche tritt, sowie in den hautfarbenen Bildern auf Glas: Das Inkarnat, in seiner farblichen Zusammensetzung höchst differenziert und kompliziert in der Mischung, ist dort aus verschiedenen fertig gemischt im Handel zu kaufenden Fleischtönen zusammengesetzt, die sich in teiltransparenten Schichten überlagern. Die dabei entstehende Textur wird als durchlässige Membran, als Farbfilm, und letztlich als Haut begreifbar und kann als Verweis auf den Körper verstanden werden, auch ohne diesen als Kontur zu zeigen. Eine Unterscheidung von bildlicher Repräsention und abstrakter Darstellung ist dabei kaum mehr zu treffen.

Die Transparenz der Hautfarbe, das Auslaufen von Flüssigkeit, sowie das Aufklaffen des weiblichen Genitals können damit als Angriffe auf eine ideale Vorstellung von intakter Oberfläche vorstanden werden und thematisieren so Wunde und Verwundung, Bedrohung und Gefährdung, sichtbares Äußeres und verborgenes Inneres, Evidentes und Okkultes. – Denn wie für den Körper gilt für die Malerei: „Keine Schönheit ohne Gefahr“.

Text: Daniela Stöppel, München, 2010

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